Projektübersicht
Planungsprojekte von Hans Marti bzw. seinem Büro
Abbildung 1 zeigt die geografische Verteilung der Projekte, an denen Hans Marti bzw. sein Büro beteiligt war. Auf den ersten Blick ergibt sich ein räumlicher Schwerpunkt im Mittelland zwischen Zürich und Olten. Zusätzlich können am Hochrhein im Grossraum Basel, in der Region Luzern und im Churer Rheintal Cluster identifiziert werden, dazu fallen gleich vier verkehrsplanerische Engagements im Sopraceneri auf. Die räumlichen Dimensionen der einzelnen Projekte unterscheiden sich jedoch stark – von Beratungen auf Quartiersebene bis zu grossmassstäblichen Planungen für ganze Regionen. Aufgrund der Datengrundlage sind alle Projekte, ungeachtet ihrer räumlichen und zeitlichen Ausdehnungen, als Punkte in derselben Grösse ausgezeichnet.
Abgesehen von den bereits erwähnten Verkehrsplanungen können aus heutiger Sicht vier Projekte identifiziert werden, die exemplarisch für Martis Arbeit und sein Planungsverständnis stehen:
Regionalplanung Baden
Die Regionalplanung für Baden ab 1947/1948 ist ein zentraler Baustein im Werk von Marti bzw. seinem Büro, da hier zum ersten Mal der Prozess eines gemeindeübergreifendes Planungsvorhabens durchgeführt wurde1. Dies umfasste neben der eigenhändigen Erhebung der nötigen Statistiken zur Bestandsaufnahme2 auch die Überzeugung der kommunalen Entscheidungsträger (sic) von der grundsätzlichen Notwendigkeit dieses neuartigen Verfahrens (Ruedin 2008, 162–65; s. auch Marti 1950). Marti resümiert, dass festgeschriebene Regeln für Planungsvorhaben zwar nötig sind, aber zum damaligen Zeitpunkt nicht zielführend: «Bevor wir neue Gesetze fordern, wollen wir das Volk aufklären und das Verständnis für die Notwendigkeit der Planung fördern» (1953, 319).
Regionalplanung Birrfeld
Die Regionalplanung für die Gemeinden Lupfig und Birr (1956–1961, Hanak 2008a) sticht aufgrund ihrer Dimension und der unmittelbar begonnenen baulichen Umsetzung heraus. Durch eine Industrieansiedlung entstand der Bedarf nach einer Stadt für erwartete 15’000 Einwohner*innen auf grüner Wiese im bis dahin landwirtschaftlich geprägten Birrfeld. Planerisch wichtig war hier die Schaffung von Rechtsgrundlagen (insb. einer Bauordnung) für die betroffenen Gemeinden, um die zukünftig erwartete Entwicklung langfristig lenken zu können (Marti 1960, 132). Darüber hinaus ist die Planung für das Birrfeld ein frühes Beispiel für den Schutz der historischen Dorfkerne und die räumliche Konzentration der Neubauaktivitäten auf bisher unerschlossene Flächen (Abbildung 2). Aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung wurden die Konzepte jedoch nur in Ansätzen realisiert (Überbauung Wyden, dazu Burckhardt 1962).
Auf regionaler Massstabsebene sind weiterhin Projekte in Solothurn und Umgebung, im Wiggertal sowie im unteren Fricktal erwähnenswert (Knieza 2012).
Stadtplanung Zofingen
In der Bauordnung mit Zonenplan für Zofingen, die Marti und sein Büro in den 1950er-Jahren erarbeitete, wurde zum ersten Mal mit einem Anreizsystem gearbeitet, um die städtebauliche und architektonischen Qualitäten eines Neubaugebiets – Neu-Zofingen bzw. Wiggerfeld südwestlich des Bahnhofs – zu erhöhen: Gewünscht war eine stimmige städtebauliche Konzeption für das gesamte Planungsgebiet (Marti, Trippel, und Kast 1955, 203), etwa in Form von zusammenhängenden, gestalteten Grünanlagen zwischen den Baukörpern (vgl. Koch 1992, 226). Um überhaupt solche grossen Grünflächen zu ermöglichen, sollten insbesondere Stellflächen für PKW als Tiefgaragen realisiert werden. Der Bau einer Tiefgarage führt zwar gegenüber oberirdischen Parkplätzen zu Mehrkosten. Um die Anlage unterirdischer Stellflächen trotzdem finanziell attraktiv zu machen, wurde ein Bonussystem eingeführt: Werden bei einem Bauvorhaben bestimmte städtebauliche Kriterien erfüllt – z.B. eben eine umfassende Gesamtkonzeption von Städtebau und Freiraumplanung – so darf im Gegenzug ein höherer Anteil der Grundstücksfläche bebaut werden (Erhöhung des Ausnützungsmasses, s. Hanak und Ruedin 2008b, 98). Dieser neuartige Ansatz löste zum damaligen Zeitpunkt unter Fachleuten grosse Diskussionen aus (Eisinger 2004, 181; in Chur vgl. Maissen 2014, 48f.). Debattiert wurde unter anderem aus juristischer Perspektive die Frage der Rechtsgleichheit im Kontext der Bonusgewährung und unter gestalterischen Vorzeichen die ungewohnte Kombination unterschiedlich dimensionierter Baukörper und Freiflächen in unmittelbarer Nähe zueinander (Marti 1962; Eisinger 2004, 182).
Richtplanung Überbauung Telli
Die Richtplanung für das die Grosswohnsiedlung Telli in Aarau (Baubeginn 1972, s. Fuchs und Hanak 1998) stellt die konsequente Anwendung des für Zofingen entwickelten Bonussystems dar: Für das grossflächige Projekt im Osten der Stadt in unmittelbarer Nähe zur Aare (Abbildung 3), die letzte grössere Landreserve in Aarau, wurden Bauvorschriften erlassen, die sowohl eine höhere Grundstücksausnützung als auch mehr Geschosse ermöglichten – im Gegenzug wurden Tiefgaragen erstellt und die Wohnanlage vom Autoverkehr grossteils freigehalten (Marti + Kast 1973). Für die Konkretisierung der erlaubten Gebäudehöhen konnte auf die bereits 1959 unter Beteiligung von Hans Marti erarbeitete städtische Bauordnung zurückgegriffen werden. Erstellt wurden vier Wohnscheiben mit 1258 Wohnungen auf maximal 19 Geschossen (Fuchs und Hanak 1998, 136), was die Siedlung zu einer der grössten Wohnanlagen des Landes werden liess. Die modellhafte Umsetzung städtebaulicher Paradigma wie z.B. Funktionstrennung und Durchgrünung machen die Telli in dieser Grössenordnung einzigartig (Althaus 2018, 219–23), wobei dabei die «radikale[] Freihaltung» (Zurfluh 2023, 6) der Flächen zwischen den Wohnbauten hervorzuheben ist. Diese gehen als öffentliche Grünanlagen in die nahegelegene Flusslandschaft über und entsprechen damit Martis ursprünglicher Idee der planerischen Verzahnung von Freiraumplanung und Grundstücksausnützung (Hanak 2008b, 109).
Stadterweiterung Chur
In den 1950er-Jahren erarbeitete das Büro Marti + Trippel Regelungen zur Erweiterung der Stadt Chur in die bis dahin grossteils unbebaute Rheinebene. Für Marti stellte der inhaltlich wie räumlich weit gefasste Auftrag eine ideale Gelegenheit dar, visionäre Ideen zu entwickeln, die er «ausreichend abstrakt und frei von ‹Gefühlswerten›» (Maissen 2014, 45) als Gedankenexperimente und «mehr zu eigenen Studienzwecken als im Auftrag der Stadt» (Hans Marti zitiert nach Maissen 2014, 45) entwickeln konnte. Durch die Visualisierung der baurechtlich möglichen Regelungen zu Bebauungsdichte und Gebäudetypologien in Gestalt zahlreicher Modellstudien (s. Abbildungen in Marti 1957b, 828f.) wurden die baulichen Auswirkungen verschiedener Parameter demonstriert. Auf diese Weise geleistete Überzeugungsarbeit führte dazu, dass die ursprünglich vorgesehene, dichte Bebauung in geschlossener Bauweise aufgegeben und durch eine gemischte Bauweise – Reihenhäuser, Scheibenbauten und Punkthochhäuser unterschiedlicher Höhe – ersetzt wurde. Durch diese Mischung von Bauformen wurde ein gestalterischer Abwechslungsreichtum erreicht, der insbesondere die Freihaltung von Freiflächen im Wohngebiet erlaubt – und dennoch eine numerisch hohe Bebauungsdichte erzielt (Hanak und Ruedin 2008a, 103) – für Marti ein «Exerzierfeld für Spekulanten» (zitiert nach Schretzenmayr, Teuscher, und Casaulta-Meyer 2017, 84). Bemerkenswert ist die Planung von bzw. mit Hochhäusern (Abbildung 4), die in der Schweiz lange sehr umstritten waren und Grundsatzdebatten auslös(t)en (Eisinger 2004, 199–228; Koch 1992, 215). Marti selbst stand Hochhäusern mit gemischten Gefühlen gegenüber (Marti 1951, 603): Er zeigte sich zwar offen gegenüber dieser neuen Bauform (1957a) und schätzte, durch Höhenakzente Stadt, Freiraum und Topografie baulich verschränken zu können (Maissen 2014, 50), bezweifelte aber, dass die städtebauliche Einbettung von Hochhäusern mit üblichen Mitteln planerisch gesteuert werden könnte (Koch 2008, 41). Hochhäuser sollten für ihn deshalb «Expertenaufgabe und […] Einzelfall» (Eisinger 2008, 213) bleiben.
Bibliografie
Fußnoten
Andere Quellen nennen die Gründung des Zweckverbandes Luzern als ersten privatrechtlich organisierten Zusammenschluss mehrerer Gemeinden zur übergreifenden Planung (Koch 1992, 172f.; Mossdorf 1949, 80).↩︎
Beispiele für solche Statistiken finden sich bei Schretzenmayr, Teuscher, und Casaulta-Meyer (2017, 94f.), wo eine Übersichtstafel demografischer Kennwerte der Region Solothurn sowie eine Visualisierung vorherrschender Windrichtungen in Schinznach abgebildet sind.↩︎